Wir haben ihn gebeten, vorsichtig zu sein

Dieser Bericht einer Mutter stammt ursprünglich aus der Holländischen Zeitschrift Nieuwe Revu und wurde am 5.5.1988 abgedruckt.

Paula ist Mutter von drei Söhnen. Alle drei hatten ein Verhältnis mit einem erwachsenen Mann, der schon bald als Freund in die Familie aufgenommen wurde. Auch jetzt, nachdem die Kinder erwachsen sind, besteht noch immer eine gute Freundschaft. [Kommentar von Wolf Vogel]

„Es ist ganz natürlich verlaufen“, sagt Paula. „So wie die Heranreifenden aufhörten, ihren Eltern einen Gutenachtkuß zu geben, so ist das Liebkosen aus dem Verhältnis verschwunden.“ Mit Absicht versucht sie, nicht den richtigen Ausdruck zu verwenden und nicht zu viele Details zu erzählen. „In dieser ländlichen Gegend könnte das Bekanntwerden dieser Freundschaften uns in große Gefahr bringen.“ Ihre Söhne waren acht, zwölf und dreizehn Jahre alt, als Paula merkte, dass sich in ihrem Haus etwas anbahnte.

„Er war der Musiklehrer unseres Ältesten und kam wöchentlich ins Haus. Am Verhalten vor allem unseres Jüngsten, der besonders gern schmust, merkte ich, dass da etwas war. Es war zunächst nur ein Gefühl, dann habe ich den Musiklehrer einfach gefragt. Er war ganz ehrlich, er sagte: ‘Ja, ich bin pädophil.‘ Und dann stehst du da mit der Wissenschaft. dass wir sehen konnten, wie er mit unseren Kindern umging, nahm der Entdeckung schon viel an Schärfe. Wir haben ihn gefragt‘ was er für unsere Kinder empfinde, um es ihnen selbst zu sagen. Danach haben wir es mit den Kindern durchgesprochen, im Beisein des Freundes. Die große Offenheit ist sehr wichtig gewesen.

Später lud er die Kinder auch zu Übernachtungen ein. Wir willigten ein, aber anfangs sitzt man doch dann zu Hause und denkt: Oh je, haben wir uns wohl richtig verhalten? Aber wir bauten auf die Tatsache, dass wir offen gewesen waren. Und auf den Umstand, dass unsere Kinder imstande waren, Dinge abzulehnen, die sie nicht wollten. So haben wir sie erzogen, und man hofft, dass das dann weiter wirkt. Und so schien es tatsächlich.

Unser Jüngster erzählte ganz spontan, was da so geschah. Nichts Besonderes! Wir baten den älteren Freund, vorsichtig zu sein, nichts zu beschleunigen. Für ihn war es auch angenehm, darüber sprechen zu können. Ich weiß noch, dass der Ältere [sic!] meiner Buben nach ein paar Übernachtungen erzählte:

‘Mutti, ich darf jetzt in dem großen Bett schlafen.‘ — ‘Oh‘, sagten mein Mann und ich, ‘findest du das schön?‘ Ja, das fand er herrlich. Von dem Jüngsten konnte ich mir das auch gut vorstellen. Er sagte: ‘Weißt du, was ich toll finde, Mutti? Wenn er auf meinem Rücken krabbelt.‘ Ich sagte: ‘Ach ja, tut er das?‘ Wir versuchten, unsere Fragen spielerisch zu stellen. Von seinem älteren Freund wußten wir schon, dass unser Sohn Krabbeln schön fand, mehr aber nicht zuließ. Unser Kind erzählte das auch ganz spontan: ‘Nur, wenn er an mein Pipmännchen kommt, das brauche ich nicht, das, finde ich, ist dummes Zeug.‘ Wir sagten dann: ‘Ah, soll er das nicht?‘ Wir taten es stets auf diese Art ab, denn eine zu große Wichtigkeit wollten wir damit absolut nicht verbinden.

Das ist überhaupt der größte Fehler, den man machen kann. Denn die Wichtigkeit, die Erwachsene der Sexualität beimessen, kennen Kinder nicht. Das machen wir daraus. Wir stecken als Erwachsene in unserer eigenen Gedankenwelt, aber das ist etwas ganz anderes, was sich zwischen Pädophilem und Kind abspielt. Das Schwierigste ist, dass man seine Kinder verpflichten muß, über eine solche Freundschaft zu schweigen. Aber das muß sein. Pädophile können aus ihrer Arbeitsstelle entlassen werden, festgenommen, sie können sogar strafrechtlich verfolgt werden. Und das muß man einem solchen Freund ersparen. Aber andererseits will man seine Kinder wissen lassen: Buben, das ist nichts Besonderes, ihr braucht euch nicht zu schämen. Das Tabu, die Gegnerschaft, damit habe ich es schwer. Das ist auch der Grund, warum ich Mitglied einer NVSH Arbeitsgruppe Pädophilie wurde. (Anmerkung des Herausgebers: Die NVSH ist die Niederländische Vereinigung für Sexualreform.) Die Menschen, denen ich da begegnet bin, deren Mentalität hat mir eine Menge Respekt abgenötigt. Aber man muß auch wagen, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Gewiß hat man seine Zweifel, aber die Kinder verlangen ihre eigenen Rechte. Wenn man an seine eigene Jugend zurückdenkt, darf man seinen Kopf nicht in den Sand stecken.

Angst vor Mißbrauch habe ich nicht. Oft genügt [einem Pädophilen] schon die Anwesenheit eines Kindes. Dann wird der ältere Freund das Kind zu Bett bringen und streicheln. Was ist dagegen zu sagen? Das tun Eltern auch. Kinder kriechen auch zu ihren Eltern ins Bett. Dann schmust man mit ihnen auch. Das gehört zu ihrer Erziehung, finde ich. Es gibt ohnehin schon genug Berührungsängste. Es ist wohl die Angst, die Emotionen wachruft. Gewiß sage ich nicht: Forsche nach! Aber die Erfahrung lehrt, dass diese Art Lebenserfahrung einen doch überrascht.

Ein Pädophiler ist jemand, der Kinder liebt. Er will das Kind nicht ängstigen oder enttäuschen. Vielleicht macht er unbewußt Fehler. Aber tun Erzieher das etwa nicht? Als wir mit diesen Dingen zu tun bekamen, sind wir von Anfang an offen gewesen. Eltern sollten ihren Kindern klarmachen, dass sie mit ihnen über alles sprechen können, auch über Dinge, die die Eltern nicht so recht begreifen. Man kann mit einem Pädophilen auch selbst ein Gespräch anfangen. Und wenn er mal einen Fehler macht — muß man ihn deswegen gleich schief ansehen?

Ich weiß, dass sehr viele Kinder gewisse Dinge selbst herausfordern. Das haben wir hier im Haus miterlebt. Es war so etwas wie: Wie weit kann ich ihn, den Erwachsenen, kriegen?

Wenn das mit jemandem geschieht, der sich immer hat beherrschen müssen, ja, dann kann der wohl einmal zu weit gehen. Dann muß man ein Stöckchen davor stecken, muß dafür sorgen, dass das Kind erst lernt, auf eine andere Art Kontakte zu knüpfen. Wenn Offenheit herrscht, hat man die Eltern von Anfang an dabei.“