Kinder wählen sich selbst ihre Beziehungen

Ein Sozialarbeiter und Pflegevater beschreibt seine Sicht auf pädophile Beziehungen. Dieser Bericht stammt ursprünglich aus der Holländischen Zeitschrift Nieuwe Revu und wurde am 5.5.1988 abgedruckt.

„Bei solchen Beziehungen mache ich mir mehr Sorgen um den Erwachsenen als um das Kind. Es ist immer die Umwelt, die solche Beziehungen problematisch findet“, erzählt John, 50 Jahre alt. John zog neun Kinder auf: ein eigenes, vier offizielle Pflegekinder und vier weitere Kinder, bei denen die Eltern nacheinander zustimmten, daß die Kinder zu ihm zogen. Vier der Kinder hatten eine Beziehung zu einem Erwachsenen. Ein Kind möchte nicht, daß John dessen konkrete persönlichen Erfahrungen erzählt. Er spricht deshalb nur in allgemeiner Form als Elternteil und Heimerzieher. John sagt:

„Kinder wählen sich selbst ihre Beziehungen. Die Macht, die ich ausüben könnte, nehme ich aber nicht in Anspruch, und ich will es auch nicht. Ich stehe dem Kind am nächsten. Das bedeutet auch, daß ich gelegentlich im Konflikt mit der Gesellschaft stehe. Selbstverständlich habe ich im Haus das letzte Wort. Aber das kommt höchstens zweimal im Jahr vor. Kinder haben das erste Wort, und das kommt täglich vor. Wählt ein Kind eine Beziehung, die mir nicht gefällt, besprechen wir es zusammen. Denn die Beziehung zu deinem eigenen Kind hält durch dick und dünn. Schließlich kann man als Eltern oder Pflegeeltern nicht einfach sagen ‘Hau‘ ab!‘, wenn ein Kind stiehlt, albern oder garstig ist.

Pädophile Beziehungen haben ihren eigenen Wert, ihre Kraft und ihre Schwäche. Daß das Kind dabei ein kleiner König ist, nun ja, ich gönne es ihm. Das hat einen eigenen Wert, den ich ihm als Elternteil nicht bieten kann. Denn ich hab‘ noch andere Kinder, einen Haushalt und eine Arbeitsstelle. In einem Kinderheim hatte ich es als Gruppenleiter manchmal mit Ausreißern zu tun. Die wußten ihre Leute schon zu finden. Ich fand sie heraus, gelegentlich richtig im Bett mit einem Mann. Ja, die lagen da ganz behaglich. Daß die Kinder allen Grund hatten, Trost zu suchen, hat mich immer davon abgehalten, dem auf dem Weg der offiziellen Gewalt ein Ende zu bereiten. Ich habe wohl schon mal gedacht: Könnte ich die Wärme und Aufmerksamkeit nur auch bieten! Eingegriffen habe ich nur, wenn die Kinder den Erwachsenen erpreßten.

Was kann man für Kinder tun? Man weist sie auf Verhütungsmittel hin, aber meist haben sie das schon lange auf dem Schulhof erfahren. Praktische Entscheidungen, die man als Erwachsener fällen muß, werden mitgeteilt: Einwilligung zum Übernachten, Absprache über Zeiten. Man muß dann auch den Erwachsenen als Besuch bei seinem Kind akzeptieren, auch in dessen eigenem Zimmer. Man darf da nicht gerade zufällig Staub wischen. Ich mache mir bei solchen Beziehungen immer mehr Sorgen um den Erwachsenen, Freund oder Freundin, als um das Kind. Die Erwachsenen sind erpreßbar! Sie sind verletzlich und unsicher.

Mit dem sexuellen Aspekt habe ich persönlich keine Schwierigkeiten. Kinder kriechen bei ihren Eltern ins Bett, gehen mit ihnen unter die Dusche. Wenn man das zuläßt, wird man merken, daß sie gesund neugierig sind auf den Körper und die Sexualität der Eltern. Dann sage ich: Nun, das ist gut. Man lasse ruhig seinen Körper anschauen, lasse ein sexuelles Leben als Eltern ruhig anschauen. Man lasse das Kind dazu, erzähle von seinem Gefühl, lasse seine Erregung ruhig sehen. Laß sie doch miterleben, wie dein sexuelles Leben ist. Der große Vorteil ist, daß du später hörst, was sie selbst erleben. Andererseits ziehen Kinder auch ihre Grenzen. Aber sie finden es nicht problematisch, das meiste mit den Erwachsenen zu teilen. Es ist immer die Außenwelt, die das problematisch findet.

Kinder suchen selbst. Das geschieht vor allem in den Übergangsjahren, mit zehn, zwölf, vierzehn, sechzehn, wenn sie selbst mehr Abstand von ihren Eltern nehmen. Die Eltern sind in ihren Augen zeitweise eben Greise. Der Freund ist dann alles; für eine gewisse Zeit entspricht er dem Ideal. Aber nach einem Jahr wird alles wieder normal. Manchmal ist es plötzlich aus, aber meist geht es allmählich zu Ende. Beide haben dann andere Bedürfnisse. Es ist auch ein bleibendes Verhältnis herausgekommen, ein gutes Verhältnis.

Kinder sind doch kein Besitz der Eltern. Kinder laufen mit hundert Heimlichkeiten herum, das ist ein Stückchen Eigenheit, das finden sie wohl auch spannend. Es gibt auch Geheimnisse, die als Kern Freiheit haben. Daß Kinder zum Geheimhalten gezwungen werden, geschieht gerade wegen der üblichen Machtverhältnisse, der Schule, der Familie. Besonders Pädophile sind sehr verwundbar, sehr ohnmächtig. Sie können angezeigt werden. In letzter Instanz ist immer das Kind der Mächtige. Das Kind kann mit seinen Eltern reden, es kann von dem Erwachsenen einfach wegbleiben. Eltern und Lehrer beispielsweise haben viel mehr Macht über ein Kind. Ich selbst strebe nach Machtgleichgewicht in dem Verhältnis zu Kindern.“