„Meinen ersten Sex mit einem Mann hatte ich, als ich zwölf Jahre alt war. In der Schule hatten wir untereinander schon mal darüber getuschelt, daß es Männer gibt, die es mit Knaben treiben, und Knaben, die es mit Männern machen. Genaues wußte ich zu dem Zeitpunkt aber nicht. Irgendwann auf dem Bolzplatz lächelte mich mal ein Mann an, und ich dachte gleich: Der will es bestimmt mit mir machen. Ich sollte recht behalten.
Ich folgte seinem Wink, und wir gingen in ein nahegelegenes, ziemlich dichtes Gebüsch. Wir taten es beide gegenseitig, dann sagte er leise Tschüß und verschwand wieder. Ein wenig war ich zunächst enttäuscht, daß nicht mehr passiert war, aber hinterher dachte ich: Das war eigentlich ganz schön. Vor allem dachte ich: Jetzt kannst du endlich mitreden, wenn die anderen von Männern und Knaben erzählen.
Als ich dreizehn war, hörte ich von älteren Jungen, daß man mit Sex auch Geld verdienen kann. Mich reizte der Gedanke. Ich suchte solange, bis ich am Bahnhof einen Mann fand, der eigentlich nach der Arbeit nach Hause fahren wollte. Er folgte meinem Wink, wir gingen in die Bahnhofstoilette, und er gab mir danach ein wenig Geld. Es war wirklich nicht viel, aber ich hatte mir das erste eigene Geld selbst verdient.
Ab diesem Zeitpunkt ging ich regelmäßig auf den Strich, das heißt, ich habe mich eigentlich nie an bestimmten Stellen in der Stadt aufgehalten und auf Männer gewartet, sondern ich angelte sie mir, wo ich gerade war. Wenn ich die Fotos von mir aus dieser Zeit ansehe, muß ich sagen‘ daß ich geradezu bildschön war. Es war wirklich kein Wunder, daß mir die Männer nachliefen.
Zu einigen Männern hatte ich richtige Beziehungen, lang andauernde Beziehungen. Mit zweien bin ich noch heute befreundet, und wir sehen uns gelegentlich. Meistens bin ich es, der anruft und sie zu einem Kaffee oder einem Bier einlädt, einfach, weil ich mit ihnen quatschen will oder wenn ich Hilfe brauche. Der eine von beiden, ich will ihn ‘Rolf‘ nennen, hat auch eine Menge Fotos von mir gemacht, als ich so 14 oder 15 war. Er hat mir dann einige Jahre später die Fotos geschenkt. Sie sind ein richtiger Schau für mich, denn sonst wüßte ich überhaupt nicht mehr, wie ich damals aussah und wie ich mich in der Pubertät körperlich verändert habe. Ich war zufrieden mit meinen erotischen Vorzügen; ich war stolz darauf, daß ich sexuell schon fast ein Mann war. Ich wollte vor allem dann fotografiert werden, wenn ich eine Erektion hatte. Dabei fühlte ich mich richtig erwachsen. Wenn ich mir die Bilder heute anschaue, kann ich gut verstehen, was die Männer bei mir suchten.
Ich weiß nicht, ob ich so viele sexuelle Kontakte gehabt hätte, hätte meine Familie damals das Geld nicht dringend gebraucht. Mein Vater verlor seinen Job als Fernfahrer, weil er soff Vielleicht hätte er vom Arbeitsamt Geld bekommen, aber er schämte sich, es zu beantragen. Er hing den ganzen Tag zu Hause rum und nervte meine Mutter, die mit den Kindern schon genug Arbeit hatte. Zwei Geschwister von mir waren damals noch zu Hause, ein älterer und ein jüngerer Bruder. Mein ältester Bruder war bereits verheiratet und hatte eine eigene Wohnung, die eher einer Bruchbude glich, denn wenn es regnete, lief das Wasser in den Zimmern die Wände hinunter. Das Baby meines Bruders und seiner Frau war deshalb häufig krank. Die Sozialhilfe der beiden reichte nicht vorne und nicht hinten. Ab und zu konnte ich den beiden auch etwas Geld zustecken. Sie wußten, wie ich es verdiente, sagten aber nichts.
Ich glaube, daß auch mein Lehrer wußte oder zumindest ahnte, was ich in meiner Freizeit trieb. Manchmal schwänzte ich den Unterricht, wenn ein Freier nur morgens Zeit hatte. Zu meinem Lehrer hatte ich aber ein tolles Verhältnis. Er sagte oft zu mir: ‘Simon, um dich mache ich mir keine Sorgen. Du wirst deinen Weg machen.‘ Wenn er mich heute sehen könnte, so als biederen Familienvater von drei Kindern, der seiner Arbeit nachgeht und oft auch Überstunden macht, weil es seine Kinder einmal besser haben sollen — er würde sicher schmunzeln und sein Vertrauen von damals bestärkt sehen. Er ist auch nie zum Jugendamt gegangen, um unsere damaligen Familienverhältnisse anzuprangern.
Einmal ist das Jugendamt dennoch auf uns aufmerksam geworden. Eine ältere Nachbarin war wohl neugierig genug, sich um unsere Angelegenheiten zu kümmern, sah mich morgens zur üblichen Schulzeit erst um elf Uhr aus dem Haus spazieren und alarmierte das Jugendamt. Ein Sozialarbeiter kam bei uns vorbei und nahm unsere Wohnung genau unter die Lupe. Ich glaube‘ sie gefiel ihm nicht.
Auf dem Tisch standen noch die benutzten Kaffeetassen, im Waschbecken war Wäsche eingeweicht, weil in der Badewanne das Geschirr von der Geburtstagsfeier meiner Mutter lag, und die Betten im Schlafzimmer waren auch nicht gemacht. Das schien für ihn das Schlimmste überhaupt zu sein. Ich nehme an, er vermutete regelrechte Orgien in unserer Wohnung. Es gefiel ihm überhaupt nur eines, und das war ich. Als ich es bemerkte, nahm ich ihn unter einem Vorwand mit ins Kinderzimmer, nannte ihm meinen Preis und sagte, wenn er mich haben wolle, solle er als Privatperson wiederkommen und nicht als Sozialarbeiter. Er kam nie wieder zu uns, und das Jugendamt ließ uns fortan in Ruhe.
Meine Eltern lernten meine erwachsenen Freunde und Freier nicht kennen. Erst viele Jahre später, als ich Mitte bis Ende zwanzig und längst verheiratet war, traf ich mich mit Rolf im Beisein meiner Familie in einer Kneipe. Ich stellte Rolf vor und sagte meinen Eltern, daß er mein liebster Freier und Freund von damals sei. Rolf, der wirklich kein Kind von Traurigkeit ist, wurde rot wie eine Tomate und schämte sich. Ich tröstete ihn und sagte, das könnte ruhig jeder wissen, was er in schwieriger Zeit für mich getan habe. Denn ich hatte allen Grund, ihm dankbar zu sein.
Einmal nahm ich ihn in die Bruchbude meines ältesten Bruders mit. Als er die Wohnung betrat, fiel ihm regelrecht die Kinnlade herunter. Meine Schwägerin kochte auf der einzigen Heizplatte Kaffee, im Spülbecken waren die Babywindeln eingeweicht. Ein Bad besaß die Wohnung nicht. Es regnete an diesem Tag, das Wasser rieselte in dünnen Streifen die Wände hinunter, und das erkältete Baby schrie fortwährend. Rolf war so erschüttert, daß er sich an die örtliche Tageszeitung wandte, um die Zustände zu schildern. Durch den Bericht in der Zeitung erhielt mein Bruder eine neue, größere Wohnung, trocken und mit Bad.
Als ich aus der Schule entlassen wurde (eigentlich habe ich mich selbst entlassen), half mir Rolf bei der Suche nach einer Lehrstelle. Er schaffte es sogar‘ mich in einer Fernsehsendung über arbeitslose Jugendliche unterzubringen, in der ich den armen Jungen spielen konnte. Bereits während der Sendung erhielt ich drei Stellenangebote; eines davon nahm ich an. In der Sendung war auch ein gleichaltriges Mädchen zu Wort gekommen, das in derselben Stadt wohnte. Nach dem Fernsehauftritt fuhr Rolf mit uns beiden nach Hause; während der Fahrt machte ich auf der Rückbank von Rolfs Auto mit dem Mädchen tollen Sex.
Meine Pubertät war wirklich eine abenteuerliche Zeit. Der andere langjährige Freund, mit dem ich noch häufig zusammentreffe (ich nenne ihn hier ‘Richard‘), hatte eine Kneipe. Bei ihm konnte ich immer übernachten, wenn es zu Hause Streitereien gab und ich es nicht aushielt. Mein Vater soff noch immer und hielt seine Familie in Atem. Es tat mir zwar leid für meine Mutter, aber ich flüchtete des öfteren zu Richard, um meine Ruhe zu haben. Mein etwas älterer Bruder war inzwischen zwar ausgezogen, aber mit meinem kleinen Bruder — er war zu dieser Zeit elf Jahre alt — hatte ich ständig Streit. Vielleicht spielte ich mich auch ein bißchen wie ein Ersatzvater auf, weil ich der Hauptverdiener der Familie war. Sowas akzeptieren Brüder ja nicht ohne weiteres, zumal der Kleine nicht wissen durfte, womit ich in erster Linie die Familie ernährte. Ich habe mich mit dem Kleinen erst vertragen, als er so 15 war. Er war ein hübsches Kerlchen geworden, und ich wollte, daß ihn Rolf als seinen neuen Freund bekam, weil ich mittlerweile zu alt geworden war.
Rolf sagte nur: ‘Simon, ich finde deinen kleinen Bruder sehr nett; aber laß ihn bitte selbst entscheiden, ob er einen erwachsenen Freund haben möchte.‘ Ich ärgerte mich ein wenig über diese Haltung, aber vielleicht war es nur die Eifersucht, denn ich wäre mal fast ausgerastet, als ich Rolf mit einem anderen Jungen auf der Straße sah, so einem eingebildeten Schnösel, dem man ansah, daß er das Gymnasium besuchte. An einen solchen Typen sollte mein Rolf sein Herz verloren haben? Dann sollte er sich doch lieber meinen Bruder angeln.
Durch meine Vermittlung lernten sich auch Richard und Rolf kennen. Zu meiner großen Überraschung waren sie überhaupt nicht eifersüchtig aufeinander und verstanden sich auf Anhieb prächtig. Richard erhielt von Rolf auch ein paar wunderschöne Fotos, auf denen ich ziemlich erotisch herumlümmele. Gelegentlich, wenn ich mit Richard bei einem Bier in der Kneipe sitze, rufe ich Rolf an und frage, ob er dazukommen will. Ein paar Mal hat er sich spontan ins Auto gesetzt und ist in die Kneipe gekommen.
Mit den anderen Männern meiner Pubertätszeit habe ich keinen Kontakt mehr. Ich habe auch keine Sehnsucht danach. Es war ein Ausschnitt meines Lebens, der zu Ende ist. Meiner Familie geht es heute viel besser als damals; mein Vater trinkt kaum noch nach der Entziehungskur, die Wohnung ist renoviert, die Kinder sind aus dem Haus, und meine Eltern beziehen aus der Tätigkeit meines Vaters eine geringe Rente. Mein kleiner Bruder hat sich inzwischen auch einen erwachsenen Freund geangelt und ist zu ihm gezogen. Meine Frau kennt Richard und Rolf. Sie weiß, das sind zwei meiner besten Freunde. Sie weiß aber nicht, wie ich die beiden kennengelernt habe. Wenn sie beispielsweise mit inder Kneipe sitzt, rede ich mit Rolf auch nicht über die alten Zeiten. Und ich gebe ihm auch nicht vor allen Leuten über den Tisch hinweg einen schmatzenden Kuß, wie ich das mal gemacht habe, als meine Eltern mit uns einen trinken waren. Meine Güte, hat sich Rolf dabei geniert. Dabei hatten die anderen Gäste in der Gastwirtschaft überhaupt keine Notiz davon genommen. Aber wenn meine Frau dabei ist, mache ich sowas nicht. Die Freundschaften zu Rolf und Richard sind Teil meines Lebens. Ich liebe meine Frau, aber dieser Teil meines Lebens gehört mir.“