Wir liebten so, wie alle lieben

Bei diesem Bericht handelt sich um ein Interview, das der Autor Wolf Vogel, mit einem Jungen geführt hat. Thomas, sein Interviewpartner, hat fünf Jahre lang, vom elften bis zum sechzehnten Lebensjahr, eine sexuelle Beziehung zu einem achtzehn Jahre älteren Mann gehabt.

Thomas ist neunzehn Jahre alt und besucht die Abschlußklasse eines Gymnasiums. Seine berufliche Laufbahn wünscht er sich in der Elektrotechnik oder in der Datenverarbeitung. Seit zwei Jahren hat er eine feste Freundin. Nichts Besonderes also. — Thomas hat fünf Jahre lang, vom elften bis zum sechzehnten Lebensjahr, eine sexuelle Beziehung zu einem achtzehn Jahre älteren Mann gehabt.

Etwas Besonderes?
Thomas: „Für mich war das eigentlich nichts Besonderes. Für meine Umgebung würde es das wohl gewesen sein, aber ich glaube, daß es niemand erfahren hat. Denk‘ nur, wie das Gerede angefangen hätte, wäre es entdeckt worden. Und dann hätte es wohl auch meine Eltern oder eines meiner Geschwister erreicht. Ich wußte wohl, daß ich etwas tat, was eigentlich nicht sein durfte. Aber trotzdem habe ich es niemals bereut, und ich habe mich auch nie bedroht gefühlt. Schon gar nicht während der letzten Jahre. Ich fand es auch nicht sündhaft, was ich tat. Was ich in der Beziehung erfuhr und lernte, war schon etwas Besonderes und sehr schön. Das konnte nicht sündig oder verkehrt sein. Außerdem hatte ich es selbst veranlaßt. Das weiß ich noch recht gut.

Ich war elf Jahre alt, und es war Frühjahr. Ich wußte, daß Horst immer am Waldrand saß mit einem Fernglas. Ich wußte auch, daß im Dorf allerlei über Horst geredet wurde, daß er schon mal in einem der Waldteiche nackt schwamm und dort auch nackt herumlag und sich sonnte.

Eines Nachmittags bin ich mit meinem Fahrrad zum Wald gefahren, und da saß Horst. Unter dem Vorwand, daß ich mich für Vögel interessiere und gern mal durch sein Fernrohr sehen würde, fing ich ein Gespräch mit ihm an. Auf einmal sagte ich zu ihm: ‘Wie schade, daß man mit einem Fernglas nicht durch die Bäume sehen kann, denn ich weiß bestimmt, daß man dann viele Liebespärchen im Wald sehen könnte.‘ Horst ging darauf ein und erzählte, was er selbst schon mal im Wald gesehen hatte. Auf einmal sprachen wir über Selbstbefriedigung. Ich weiß noch, daß ich gehörig zitterte vor Aufregung, denn dies war der entscheidende Augenblick. Horst fragte, ob ich es wohl schon einmal selber machen würde. Ich bejahte, und dann legte er seine Hand auf meinen Hosenschlitz und sagte: ‘Laß mich mal sehen.‘ Ich hatte erreicht, was ich wollte, und fühlte einen gehörigen Triumph in mir. Horst sagte noch: ‘Du darfst es bei mir auch machen.‘ Mit zitternden Händen tat ich es, und so hatten wir zum ersten Mal Sex miteinander.“

Woher kanntest du das alles mit elf Jahren schon so genau?
Thomas: „Das kam durch meinen älteren Bruder. Ich war ungefähr neun. Wir schliefen zusammen in einem Zimmer. Eines Abends rauften wir ein wenig miteinander, und auf einmal nahm mein Bruder meine Hand, legte sie auf seinen Penis und sagte: ‘Spiel mal damit.‘ Ich erschrak ein bißchen, weil sein Penis so groß war und so viele Haare drumherum waren. Ich hatte bereits Bilder von nackten Männern gesehen, aber die Wirklichkeit war doch anders. Ich fand es aber ziemlich spannend, es war etwas, über dem etwas Geheimnisvolles lag. Mein Bruder sagte, daß es sehr schön sei, damit zu spielen, und fing an, mit meinem Penis zu spielen, um es zu beweisen.

Das war der Anfang von häufigen Sexspielen mit meinem Bruder, die ungefähr zwei Jahre lang praktiziert wurden. Dann hatte mein Bruder Geschlechtsverkehr mit Mädchen.

Ich fand es immer sehr schön und spannend. Mein Bruder spielte stets eine ganze Zeit bei mir, gerade so lange, bis ich ein überwältigendes Gefühl bekam und sagte: ‘Nun nicht mehr.’ Später habe ich begriffen, daß das ‘Orgasmus’ bedeutete. Es kam damals noch kein Samen, aber mein Penis war so steif, daß er zu platzen schien. Ich wußte auch nichts von Samen und so. Das entdeckte ich erst, als mein Bruder und ich es einmal tagsüber in der Scheune machten. Ich erschrak ziemlich, als mein Bruder einen Orgasmus mit Samen bekam. Er lachte schallend und erklärte mir, daß das noch viel schöner sei als das, was ich erlebte. Nach und nach verstand ich, warum mein Bruder stets ein Taschentuch mit ins Bett nahm. Wir machten unsere Liebesspiele nämlich immer im Dunkeln, denn unsere Eltern durften nichts davon merken. Kurz bevor mein Bruder anfing, mit Mädchen zu gehen und es nicht mehr mit mir machen wollte, kam bei mir auch ein wenig Flüssigkeit, und das war noch reizvoller als das, was ich bisher erlebt hatte. Mein Bruder hörte also mit den Sexspielen auf, und dann habe ich ganz bewußt Kontakt mit Horst gesucht. Als Ersatz für meinen Bruder eigentlich. So wußte ich schon mit elf Jahren über diese Dinge Bescheid, viel mehr als die anderen Jungen in meiner Klasse. Die lernten die Dinge von mir und hielten mich für sehr erfahren. Sie haben auch nie gefragt, woher ich das alles wußte.“

Wie ging es mit dir und Horst weiter?
Thomas: „Wir machten es immer draußen. Auch im Winter. Manchmal lag Schnee; dann fegte Horst den Schnee weg, zog seinen Mantel aus, legte ihn auf die Erde und wir wickelten uns darin ein. Im Sommer zogen wir uns natürlich meist nackt aus und liebten uns am hellichten Tag. Eigentlich war das recht gefährlich, denn so sehr gut versteckten wir uns nicht. Einmal ist jemand vorbeigekommen. Horst legte sich schnell auf mich, daß es aussah, als würde er eine Frau lieben. Aber erschrocken haben wir uns doch. Horst fragte, ob ich nicht lieber zu ihm ins Haus kommen wollte. Er wohnte zusammen mit seiner Mutter, aber das war kein Problem. Es ist irgendwie verrückt — aber aus verschiedenen Gründen habe ich das nie gewollt und es ist auch nie geschehen. Horst hat später auch nicht mehr darauf gedrungen.

Wir saßen oft am Waldrand, stundenlang, und erzählten uns was. Manchmal geschah weiter nichts, manchmal wohl. Häufig machte Horst den Anfang und sagte dann: ‘Hast du Lust, es zu tun?‘ Wenn ich bejahte, suchten wir uns ein stilles Fleckchen im Wald.

Wir liebten uns so, wie alle lieben, denke ich, bis wir beide zum Höhepunkt gekommen waren. Eine Weile danach gingen wir nach Hause. Horst hat mich gelehrt, auf viele Arten zu lieben, mit den Händen, den Lippen und mit dem ganzen Körper. Ich genoß das sehr und er nicht minder. Das war etwas völlig anderes als die Sexspiele mit meinem Bruder. Ich fühlte mich sicher und geborgen, so daß ich mich völlig gehen lassen konnte. Horst ließ mich entdecken, wo die schönen Stellen am Körper sind und was sich so alles machen läßt. Jedesmal war es anders, und ich entdeckte stets was Neues. Nur mit dem Po wollte ich nie Sex. Horst fragte auch nicht deswegen. Er war immer sehr fürsorglich und darauf bedacht, es mir so schön wie möglich zu machen; er fragte mich auch meistens, was ich mir wünsche. Er stellte sich völlig auf mich ein, und darüber fühlte ich mich auch schon mal schuldig, ich gäbe so wenig zurück. Aber er versicherte mir, daß er es besonders schön finde, wenn ich glücklich sei.

Manchmal wollte mir Horst irgendwas zustecken. Süßigkeiten, Eis, ein Buch oder so etwas. Aber das wollte ich nie. Ich glaube, daß er mir dann das Gefühl gegeben hätte, von ihm zu profitieren. Er drang auch nicht darauf. Er drückte mich dann kräftig an sich, küßte mich und flüsterte mir ins Ohr: ‘Ist schon gut, Tommy, du bist ein ganz lieber Junge.“‘

Wußte niemand von diesem Kontakt?
Thomas: „Nein, niemand. Auch meinen Freunden habe ich es nie erzählt. Nach einer Weile hatte ich erkannt, wie äußerst gefährdet Horst war, und um jeden Preis wollte ich vermeiden, daß er durch mich oder eine Unvorsichtigkeit meinerseits in Schwierigkeiten kommen könnte. Meine Freunde und meine Eltern wußten wohl, daß ich schon mal bei Horst am Waldrand saß. Sie meinten wohl, ich würde mich sehr für Vögel interessieren, und das hab‘ ich dann so gelassen.

Horst hat auch nie mit anderen über mich gesprochen. Vielleicht einmal; als ich etwa fünfzehn war, saß mal ein anderer Junge aus dem Dorf bei ihm. Der Junge war ein paar Jahre jünger als ich. Er wollte gar nicht weggehen, und ich wollte so gern mit Horst schmusen, und Horst machte keine Anstalten, den Jungen loszuwerden. Plötzlich kam mir der Gedanke, Horst könnte auch diesen Jungen lieben! Diese Vorstellung war ein großer Schock für mich.

Als der Junge endlich wegging, habe ich Horst danach gefragt. Er sagte: ‘Oh Thomas, du bist eifersüchtig! Hör mal: es ist wirklich nichts dabei. Der Junge kommt wohl schon mal her. Über dich habe ich ihm noch nie etwas erzählt. Vielleicht möchte er etwas mit mir, aber ich nicht mit ihm.‘ Ich glaube, das war das einzige Mal, daß Horst mir nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Aus dem Abstand sage ich heute: dies ist wohl der Anfang vom Ende gewesen. Der Gedanke an den Jungen ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Nicht, daß sich an Horst sichtbar etwas verändert hat. Aber trotzdem. Ich ging von diesem Augenblick an weniger zu Horst, außerdem fand ich zunehmendes Interesse an Mädchen.

Dann ging eigentlich alles recht schnell. Nach ein paar Monaten bin ich ganz weggeblieben. Und nun ist alles schon drei Jahre her. Ich meide Horst, und wenn ich ihn zufällig treffe, grüße ich ihn und gehe schnell weiter. Ich finde das selbst häßlich und schäme mich auch deswegen. Er wird jetzt wohl gehört haben, daß ich mit einem Mädchen gehe. Es mußte ja einmal ein Ende haben. Aber ich halte ihn weiter für einen feinen Kerl. Kein böses Wort werde ich je über ihn sagen. Ich habe den Kontakt selbst gesucht und ich habe viel von ihm gelernt und er hat mir viel gegeben. Ich denke, daß ich bei meinem Verhältnis zu Julia viel von meinen Erfahrungen mit Horst zehren werde. Ich will ein bißchen für Julia sein, was Horst für mich gewesen ist.“

War es denn für dich nicht schwierig, Kontakt mit Mädchen zu bekommen?
Thomas: „Nein. Sieh mal: Ich habe immer recht viele Freunde und Freundinnen gehabt. Ich unternahm eine Menge mit ihnen. Horst war bei weitem nicht alles. Der Kontakt war anders, und mit ihm liebte ich; mit Freundinnen nicht. Am Anfang fand ich das Lieben mit Mädchen sogar schwierig. Horst kannte mich so gut und ich ihn ja auch, daß mit ihm alles wie am Schnürchen lief. Mit Mädchen war ich zunächst unbeholfen. Mit Julia ist es nun sehr schon.“

Weiß Julia von deiner Beziehung zu Horst?
Thomas: „Nein, niemand weiß das. Ich erzähl‘ es ihr auch nicht. Das halte ich nicht für nötig. Außerdem könnte es für Horst gefährlich sein. Ich habe ihn ohnehin schon im Stich gelassen. Noch mehr darf ich ihm nicht antun. Nach einigen Jahren erzähle ich es ihr vielleicht, wenn unsere Kinder größer sind und sie anfängt, sie zu warnen vor fremden Männern mit Bonbons.“

Würdest du später deinen Sohn mit einem Mann lieben lassen?
Diese Frage kommt für Thomas etwas überraschend. Er zögert und sagt dann: „Das muß ich doch wohl, wie? Ich könnte schwerlich nein sagen. Ich werde auf jeden Fall meinem Sohn eine bessere Aufklärung geben und ich werde sicher nie zu ihm sagen, daß er mit fremden Männern nicht mitgehen darf. Aber er muß dann schon etwas von Sex wissen und er muß dann auch schon etwa elf Jahre alt sein. Vor allem würde ich wissen wollen, was für ein Mann es ist. Einen Mann wie Horst würde ich nicht schlecht finden. Ich hoffe aber dann, daß er es mir erzählt, so daß wir zusammen darüber sprechen können. Denn man ist auch recht einsam mit seinen Heimlichkeiten all die Jahre, wenngleich sie auch etwas Spannendes haben.

Aber das größte Problem wird wohl die Beendigung der Beziehung sein. Eigentlich bin ich ja selbst in die Flucht gegangen, aber ich sehe nicht, wie man es anders tun soll. Bricht man die Beziehung nicht ab, muß es der andere tun. Trotzdem beschäftigt mich die Trennung noch immer. Ich finde mein Verhalten im Grunde gemein, und das ausgerechnet Horst gegenüber, der immer so lieb und nett zu mir gewesen ist. Bezüglich solcher Situationen würde ich meinen Kindern gern Ratschläge geben. Nur — ob sie sie auch annehmen?“