Prügel von den Eltern, Zuneigung von dem Fremden

Bei diesem Bericht handelt sich um ein Interview des Autors Wolfgang Vogel mit einem erwachsen gewordenen Jungen und seinem älteren Freund.

Frage: Stellst du dich kurz vor?
André: Ich heiße André und bin 27 Jahre alt.

Frage: Stellen Sie sich bitte auch kurz vor?
Peter: Ich heiße Peter und bin jetzt 55 Jahre alt.

Frage: Wann ist dir Peter zum ersten Mal begegnet?
André: Oh je, das ist lange her. — (Zu Peter) Weißt du, wann wir uns zum ersten Mal getroffen haben?
Peter: Das war, als du fünf Jahre alt warst. Wir wohnten ja damals im gleichen Haus. Du warst mir aber bis dahin nur als ein Junge aufgefallen, der fast jeden Tag von seinen Eltern ausgeschimpft wurde. Man konnte das Brüllen deiner Mutter bis unters Dach hören.
André: Stimmt. Meine Eltern haben wegen jeder Kleinigkeit ein Riesentheater veranstaltet. Wenn ich für meinen Vater Bier oder für meine Mutter Zigaretten holen mußte, hatte ich manchmal das Falsche gekauft oder es ging meinen Eltern nicht schnell genug. Dann bekam ich Prügel. Wenn ich heulte, wurde ich ins Kinderzimmer verbannt.
Peter: Als ich dich zum ersten Mal bewußt wahrnahm, kamst du mir mit einer leeren Sprudelflasche im Hausflur entgegen, das Gesicht völlig verweint. Ich fragte dich, ob du einkaufen mußt. Du hast nur stumm genickt. Dann fragte ich dich, ob deine Eltern wieder mit dir geschimpft haben; eigentlich eine ziemlich überflüssige Frage, wenn man in dein Gesicht sah.
André: Ja, ich weiß noch heute, daß du damals in die Hocke gingst und mich in den Arm nahmst. Auch ich hatte dich schon mal gelegentlich gesehen, aber keine weitere Notiz von dir genommen. Es tat mir wohl gut, daß mich mal jemand in den Arm nahm.

Frage: Kannst du denn in ein paar Worten ausdrücken, was du dabei fühltest?
André: (zögert etwas) Nein, so genau weiß ich das heute nicht mehr. Peter hat mich fest an sich gedrückt und übers Haar gestreichelt, glaube ich — (Zu Peter) Habe ich dir nicht auch einen Kuß gegeben?
Peter: Ja, ich erinnere mich an diese Situation noch sehr genau‘ denn sie stiftete bei mir einige Verwirrung meiner Gefühle. Als ich dich in den Arm nahm, mitten auf der Treppe im Treppenhaus, nahmen deine Tränen plötzlich freien Lauf und liefen dir die Wangen hinunter. Es war wohl das Gefühl, den angestauten seelischen Schmerz nun nicht mehr unterdrücken zu müssen und einfach freizulassen. Du mußt entsetzlich unter den Schlägen und dem Schimpfen deiner Eltern gelitten haben. Als du weintest, drückte ich dich noch fester an mich und streichelte dir über den Kopf. Ich wußte nicht so recht, wie man mit einem fünfjährigen heulenden Kind umgeht.
Plötzlich geschah etwas völlig Verrücktes: Du schautest mich aus verweinten Augen an und gabst mir spontan einen Kuß auf den Mund. Ich wußte erst nicht, wie mir geschah, und dachte: Jetzt nicht schon wieder schimpfen mit ihm. Dann hast du ganz fest die Arme um meinen Hals geschlungen und hast mir einen ganz langen Kuß auf den Mund gegeben, und deine Zunge suchte meine Lippen und drang ein, und du hast mich mit einem richtig tiefen Zungenkuß förmlich überrumpelt.
André: Richtig, jetzt fallen mir auch wieder ein paar Einzelheiten ein. Du hast mich völlig verdutzt gefragt, von wem ich so gut küssen gelernt habe. Ich sagte: „Von meiner Oma.“ Ich war zu dieser Zeit häufig bei meinen Großeltern, die mich auf den Schoß nahmen, trösteten und streichelten, weil sie von den Prügeln meiner Eltern wußten und sich nicht einzumischen trauten. Bei diesen Gelegenheiten habe ich küssen gelernt, habe gelernt, daß ein Kuß auf den Mund etwas ist, was man nur jemandem gibt, den man besonders lieb hat. Meinen Eltern hätte ich freiwillig nie einen Kuß gegeben.

Frage: Wie hat sich diese Begegnung ausgewirkt?
Peter: Ich war danach etwas verstört, da mir zum einen das Schicksal dieses fünfjährigen Buben so richtig bewußt wurde und ich zum anderen seine ungeheure Liebesbedürftigkeit spürte. Ich habe es ein paar Wochen geschafft, ihm erst einmal nicht mehr im Treppenhaus zu begegnen. Einmal bin ich sogar schnell in meine Wohnung zurück, als ich hörte, daß er wieder die elterliche Wohnung verließ, um Zigaretten zu holen. Seine Mutter brüllte ihm noch nach, er solle nicht wieder so trödeln. Ein paar Wochen später war ich auf dem Weg zum Keller, um Lebensmittelvorräte zu holen. André kam mir entgegen und strahlte vor Freude über das Wiedersehen. Ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn kurz an mich. Er fragte mich…
André: Laß mich das erzählen. Ich fragte ihn also, wohin er gehe. Er sagte: „In den Keller.“ Ich ging einfach mit ihm; ich hatte das Gefühl, wenn ich bei ihm bin, kann mir nichts passieren. Als wir allein im Keller waren, bin ich ihm um den Hals gefallen und habe ihn ganz lange geküßt. In der Art, wie er mich dabei streichelte, merkte ich, daß er mich wirklich mochte. Ich sagte ihm, daß in meiner Hose etwas steif geworden sei. Er sagte, ihm sei es ebenso ergangen. Ich habe ihm dann einfach die Hose aufgemacht, um es zu sehen. Und wenig später erlebte ich den ersten Sex meines Lebens. Es war so irrsinnig schön, daß ich ihn bat, es noch einmal zu machen. Er hatte aber plötzlich große Angst, daß uns jemand bemerken könnte, und hat gesagt, ich solle nun schnell in die Wohnung gehen, damit meine Eltern nicht Verdacht schöpften.

Frage: Hätte die Situation für Sie gefährlich werden können?
Peter: Eigentlich nicht. Wir hätten uns zur Not in den Keller einschließen und das Licht löschen können. Es war eine andere Form von Angst, die mich in dieser Situation überfiel. Ich dachte: Meine Güte, was macht dieses Kind mit mir, was will es von mir? Ich hatte nie Umgang mit so kleinen Kindern gehabt, geschweige denn solchen Umgang. Meine Gefühlslage schwankte zwischen Freude, dem Kind etwas Angenehmes vermittelt zu haben, und Bestürzung, daß etwas Verbotenes geschehen war. Ich habe mich hinterher tagelang gefragt: Wollte André wirklich diese Form von Zärtlichkeit, oder war es vielleicht mein geheimes, bisher verdrängtes Begehren? André hat diese Frage in den darauf folgenden Wochen klar und eindeutig beantwortet, zumindest für sich.
André: Ich erinnere mich gut an die berauschenden Gefühle, die ich dabei erlebte. Mir war durchaus klar, daß ich etwas Verbotenes tat. Aber verboten war weniger der Sex, als vielmehr, daß ich mich einem Erwachsenen überhaupt anvertraut hatte.
Meine Eltern hätten mich halbtot geschlagen hätten sie davon erfahren. Ich hätte mich aber auch halbtot prügeln lassen und trotzdem nichts erzählt.
Ich wollte meinen Freund unbedingt behalten. Anfangs hatte ich große Angst, ich würde ihn verlieren, denn er schien mir aus dem Weg zu gehen. Als ich ihm dann wieder einmal im Treppenhaus begegnetes sagte ich, daß ich gern mit ihm in den Keller ginge. Er zögerte etwas, denn er hatte nicht den entsprechenden Schlüssel bei sich. Ich bettelte so lange bis er den Kellerschlüssel holte, und dann taten wir es wieder.

Frage: Du warst damals fünf Jahre alt?
André: Ja. Auch Fünfjährige können schon tolle Gefühle bekommen; das weiß ich nun mittlerweile aus Erfahrung. Mein Pech war allerdings‘ daß wir wenige Monate später wegzogen, da sich meine Eltern trennten und ich fortan bei meiner Mutter wohnen mußte.

Frage: Damit war dann die kurze Freundschaft zu Ende?
André: Sie wäre wahrscheinlich zu Ende gewesen, wenn es nicht zu einem zufälligen Wiedersehen gekommen wäre, als wir uns im Umkleideraum eines Schwimmbades mal trafen, uns in eine Kabine einschlossen und die Kellererlebnisse wiederholten. Danach mußte ich wieder sehr lange warten, bis ich Sex mit dir haben durfte. Peter: Genau genommen, bis du zwölfeinhalb Jahre alt warst. Ich traf dich in der Nähe eurer Wohnung, wohl eher zufällig, und es gelang mir, mit dir einen Termin zu verabreden. Es war Sommer, und wir fuhren mit dem Auto ein Stück aus dem Ort heraus in den Wald, wo ich die ersten Fotos von dir machte. Danach schmusten wir auf einer Decke und vergaßen fast die Zeit. Ich mußte auf dem Heimweg ziemlich schnell fahren, um dich pünktlich abzusetzen.
André: Du mußtest nur deshalb so rasen, weil du mir kurz vor der Heimfahrt noch ein Eis spendiert hast. Wir saßen auf der Terrasse eines italienischen Eiscafes, und ich genoß, daß du mir zum ersten Mal etwas spendiert hattest.
Peter: (sichtlich erstaunt) Meine Güte, was du noch alles weißt! Das hatte ich glatt vergessen.

Frage: Ging denn die Freundschaft danach noch weiter?
Peter: Sie begann eigentlich erst richtig. Aber dazwischen lagen noch einmal zwei Jahre, in denen ich André völlig aus den Augen verlor.
André: Das kam dadurch, daß ich zwischenzeitlich nicht mehr bei meiner Mutter wohnte, sondern bei meinem Vater, der wieder geheiratet hatte. Mit meiner Stiefmutter verstand ich mich prächtig, sie wurde durch meine gesamte Jugendzeit hindurch meine eigentliche Mutter. Sie nahm mich in Schutz, wenn ich etwas falsch gemacht hatte. Wußte ich etwas nicht, half sie mir und schimpfte nicht. Sie lehrte mich kochen und Kuchen backen. Ich mußte zwar, weil ich das älteste Kind zu Hause war, auf meine jüngeren Geschwister aufpassen und durfte deswegen nicht so häufig weggehen. Aber insgesamt gesehen fühlte ich mich bei meinem Vater und meiner Stiefmutter recht wohl.

Frage: Wann habt Ihr Euch wieder getroffen?
Peter: Ich sah André eines Sommertages, als ich eher zufällig mit dem Auto durch den Ort führ, wo er wohnte. Durch den Wechsel von der leiblichen Mutter zur Stiefmutter war er in einen anderen Ort gezogen. Ich hielt an und sprach ihn an. Aus dem kleinen Jungen war ein großer Jugendlicher geworden. Ich staunte nicht schlecht, als er so vor mir stand: Ein l4jähriger mit kurzen Hosen, langen Beinen und mitten im Stimmbruch. Ich hatte das große Bedürfnis, ihn wiederzusehen. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag nach dem Schulunterricht.
André: Ich mußte mir etwas ausdenken, um von zu Hause loszukommen. Ich sagte, ich wolle einem Mitschüler bei den Schularbeiten helfen. Wir trafen uns um 14 Uhr, bis 16 Uhr hatte ich Ausgang. Peter und ich fuhren in ein nahegelegenes Waldstück, wo wir ungestört waren. Dann sagte er: „Ich würde gern sehen, wie sehr du schon zum Mann geworden ist.“ Es tat gut, zu spüren, wie sehr er staunte, daß ich mittlerweile erwachsen geworden war. Ich sagte zu ihm: „Da staunst du, nicht wahr, daß ich kein Kind mehr bin?“ Als Antwort nahm er mich in den Arm und drückte mich ganz fest an sich. Er war sichtlich ergriffen, nicht mehr den kleinen André vor sich zu haben. Er hatte seine Kamera dabei und fragte mich, ob er mich fotografieren dürfe. Aber wir hatten leider nur sehr wenig Zeit, und außerdem war ich gierig darauf, in diesem abgelegenen Waldstück mit ihm Liebe zu machen.
Peter: Du bist regelrecht über mich hergefallen, hast gesagt, ich solle endlich die Kamera weglegen, und hast mir dann die Kleider förmlich vom Leib gerissen.
André: Kein Wunder —ich mußte ja solange auf dich verzichten.

Frage: Ging Eure Freundschaft noch weiter?
Peter: Die eben genannte Verabredung war gleichsam der Beginn der eigentlichen Freundschaft, wie ich es sehe. Wir trafen uns fortan häufig und fast regelmäßig, etwa alle zwei Wochen. Solange es Sommer war, unternahmen wir kleine Fahrten, gingen zusammen schwimmen oder wanderten im Wald. In der kalten Jahreszeit verbrachten wir die Zeit bei mir zu Hause. André hatte stets nur wenige Stunden Zeit, da seine Eltern nichts wissen sollten. Ich wollte ihm mehr bieten als nur Körperkontakt, aber André wollte auf Sex nie verzichten und forderte sein Recht so konsequent ein, daß er mir einfach die Kleider auszog.
André: (zu Peter) Du hast aber ganz gern mitgemacht, mein Lieber. — Aber es stimmt: er zierte sich immer so sehr, daß ich die Initiative ergriff, sonst hätte ich am Ende nach Hause gemußt und nichts wäre gelaufen. Dazu waren mir aber die wenigen Treffen mit Peter zu wertvoll, um auf Zärtlichkeit zu verzichten. Wenn man einmal kennengelernt hat, wie schön das ist, möchte man nicht mehr darauf verzichten.
Peter: Das geht uns Erwachsenen eigentlich auch so.

Frage: Wie lange hielt diese Freundschaft?
André: Im Grunde hält sie heute noch. Mit Sex haben wir aufgehört, seit ich eine Freundin habe, also so mit 19. Ich bin mit ihr verlobt und möchte sie auch heiraten, sobald meine Ausbildung beendet ist.

Frage: Welchen Beruf erlernst du?
André: Ich mache eine Ausbildung im sozialen Bereich.

Frage: Hat dir die Beziehung zu Peter nur Freude, Spaß an Körperkontakten und gelegentliche Ausflüge gebracht, oder hast du noch anderweitig davon profitiert?
André: Na ja, das, was mir die Freundschaft an Vergnügen bereitet hat, ist eigentlich schon genug, oder? Aber es gibt noch ein paar Dinge, von denen ich profitiert habe. Zunächst einmal hat mir Peter oft geholfen, wenn ich in der Schule etwas nicht wußte. Er hat mich hinsichtlich meiner Berufsausbildung beraten. Und schließlich: ich kopiere ihn heute in manchen Dingen; zum Beispiel, wie er seine Wohnung eingerichtet hat, wie er den Tisch deckt, wie gelassen er in vielem ist.
Ich bin durch ihn zum Teetrinker geworden, kleide mich sorgfältiger und frage ihn noch heute, wie ihm die Sachen gefallen, die ich mir gekauft habe. Ich denke, wenn mal so viele Jahre ein bißchen zusammenlebt, beeinflußt man sich auch gegenseitig. Kinder lernen eine ganze Menge von den Eltern; warum nicht auch von anderen Erwachsenen? Auch meine Lehrer haben mich in vielen Verhaltensweisen beeinflußt.

Frage: Diese Beziehung hätte für den Erwachsenen gefährlich werden können, wäre sie bekannt geworden. Habt Ihr darüber mal gesprochen?
Peter: Ja, als André etwa 15 Jahre alt war, habe ich dieses Thema irgendwann mal kurz aufgegriffen. Ich wollte ihm einerseits die Gefahr nicht verschweigen, andererseits aber vermeiden, daß er ängstlich wird oder das Gefühl bekommt, er würde etwas Unrechtes tun. André hat mir aber schnell alle Sorgen abgenommen und gesagt, daß er selbst nie davon erzählen würde, was in unserer Freundschaft läuft.
André: Ich hätte doch nicht diese Freundschaft aufs Spiel gesetzt die mir so viel bedeutet hat! Natürlich war mir klar, daß wir uns nur heimlich verabreden durften, daß wir vorsichtig sein mußten.

Frage: Hättest du gern mal mit jemandem über diese Beziehung zu Peter gesprochen?
André: Einerseits nein, andererseits ja. Ich hätte nie Lust gehabt, mit meinen Eltern beispielsweise darüber zu reden, weil ich weiß, wie sie über solche Freundschaften denken. Mein Vater ist sehrkonservativ, und meine Stiefmutter hätte sich wohl gesorgt, was die Verwandten oder Nachbarn darüber denken.
Andererseits hatte ich schon manchmal das Bedürfnis, über das, was ich mit Peter erlebte, zu sprechen. Wenn solche Beziehungen nicht verheimlicht werden müßten, hätte ich als erstes meinem Lehrer und den Mitschülern davon erzählt, voll Stolz, daß ich einen Schatz besitze, den andere nicht haben. Mit 14 wäre ich gern durch die Straßen gelaufen und hätte jedem gesagt, daß Peter mein Freund ist.