Die Liebe zu Männern - ein Interview mit Mark Moffett

Ein ausführliches Gespräch zwischen dem 15-Jährigen Mark Moffett und dem amerikanischen Kulturtheoretiker und Literaturkritiker Sylvère Lotringer über die Liebe zu Männern.

Quelle: Kids Club Anthology #1; Out the Mouth of Babes - Youth speak out on youthlove; März 2019.

Übersetzung durch JUMIMA.
Englischer Originaltext


Männer Lieben

Mark Moffett

Dieses ursprünglich unbetitelte Interview zwischen dem schwulen Teenager Mark Moffett (damals 15) und dem Theoretiker Sylvère Lotringer erschien erstmals im Sommer 1980 in ‘Loving Boys’, Teil der Semiotext(e) Special Intervention Series 2. Mark Moffett war sowohl Teil der Gay-Youth- als auch der Youthlover-Szene, aktives Mitglied und Sprecher der schwulen Jugend von New York und Mitglied des Lenkungsausschusses der North American Man/Boy Love Association.


Sylvère Lotringer: Welche Rolle hat die Liebe zu Männern in deinem Leben gespielt?
Mark Moffett: Eine sehr wichtige Rolle. Das erste Mal, dass ich anfing, sexuelle Gefühle gegenüber jemandem auszudrücken, war eine Beziehung zwischen Mann und Junge. Die zu Männern hat auch Tausenden von Jungen geholfen, ihre eigene Sexualität zu entdecken und herauszufinden, was sie wirklich fühlen. Viele Leute denken, „Mann/Junge-Liebe“ sei nur Mann/Junge-Sex – die Lust eines Mannes nach einem Jungen. Sie glauben nicht, dass zwischen ihnen Liebe oder die Möglichkeit dazu sein kann. Sie liegen falsch.

Lotringer: Sex ist nur ein Aspekt davon?
Moffett: Ja, obwohl es Umstände gibt, in denen Sex tatsächlich der einzige Aspekt ist.

Lotringer: Glaubst du, es gibt Männer, die Kinder tatsächlich sexuell missbrauchen?
Moffett: Natürlich. Zwischen Mann und Junge kann es immer zu sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung und Zwang kommen.

Lotringer: Immer von Seiten der Männer?
Moffett: Es ist schwer für einen Jungen, einen Mann zu vergewaltigen (er kichert). Er ist körperlich unterlegen.

Lotringer: Genau. Die Leute befürchten, dass Jungen grundätzlich unterlegen sind.
Moffett: Eigentlich ist es oft nicht der Mann, der den Jungen verführt, sondern umgekehrt. In meiner ersten Erfahrung habe ich verführt.

Lotringer: Wurdest du jemals missbraucht?
Moffett: Vielleicht einmal, obwohl ich wirklich nicht sagen kann, dass ich dazu gezwungen wurde. Ich kam von der Schule nach Hause und traf diesen Typen. Er hatte diesen unglaublich großen Schwanz und ich sagte: »Fick mich nicht, weil ich bisher nur einmal gefickt worden bin.« Ich wollte nicht gefickt werden, aber er tat es trotzdem. Aber ich weiß nicht, wie du es nennen würdest, da er mich nicht in sein Haus geschleppt hat, oder so. Ich habe ihn zu mir eingeladen…

Lotringer: Findest du das in irgendeiner Weise außergewöhnlich?
Moffett: Nein. Es sind hauptsächlich die Jungen, die auf die Suche nach sexueller Befriedigung durch Männer gehen. Natürlich sind die Männer dazu bereit, und sie können auch anders Jungen finden. Aber wo werden sie diese besonderen Jungen finden, die sie brauchen und Sex mit ihnen haben wollen? Sie können nicht einfach in einen Schulpark gehen oder so. Für Jungen ist es einfacher herauszufinden, wo schwule Männer rumhängen.

Lotringer: Glaubst du, dass Jungen erkennen, dass es für Männer schwieriger ist, Jungen zu finden, und dass Männer aufgrund des Gesetzes möglicherweise Angst haben, sich ihnen zu nähern?
Moffett: Oh ja, das habe ich beobachtet. Oft. Sobald sie herausfanden, wie alt ich war, versuchten sie mich loszuwerden. Einige von ihnen fürchteten um Karriere und Familie.

Lotringer: Seit wann hattest du solche Begegnungen?
Moffett: Seit ich 13 war.

Lotringer: Das war vor zwei Jahren.
Moffett: Ja.

Lotringer: Wie hat alles angefangen?
Moffett: Eines Tages machte ich die Wäsche und es gab eine Anzeige am Schwarzen Brett für eine schwule Tanzveranstaltung und es hieß: “Für weitere Informationen rufen Sie Frank an.” Also habe ich seine Nummer auswendig gelernt und ihn angerufen. Ich fragte ihn, ob er schwul sei. Er sagte ja. Ich sagte: “Willst du Sex haben?”

Lotringer: Hattest du schon mal Sex?
Moffett: Vorher hatte ich sexuelle Erkundungen mit Freunden in meinem Alter. Aber ich würde nicht sagen, dass ich damals meine Jungfräulichkeit verloren hätte. Als ich Sex mit diesem Mann hatte, hatte ich wirklich zum ersten Mal Sex.

Lotringer: Was wäre, wenn er nicht schwul gewesen wäre?
Moffett: Ich hätte aufgelegt.

Lotringer: Du interessierst dich nicht für heterosexuelle Männer?
Moffett: Ich interessiere mich für wen auch immer ich mich interessiere. Hauptsächlich sind sie schwul. Ich finde einige heterosexuelle Männer atraktiv, aber sie würden keinen Sex mit mir haben wollen. Zumindest bezweifle ich es. Die Männer, mit denen ich Sex habe, sind schwul.

Lotringer: Betrachtest du dich als schwul?
Moffett: Ja.

Lotringer: Jungen müssen schwul sein, um sich für Männer zu interessieren?
Moffett: Ich bin sicher, viele von ihnen bezeichnen sich selbst als bi oder bezeichnen sich einfach garn nicht als etwas bestimmtes.

Lotringer: Würden die meisten Jungen deine direkte Herangehensweise an Männer nutzen?
Moffett: Das glaube ich nicht. Jungen, die ich kenne, haben viele sexuelle Probleme. Es ist ihnen peinlich, darüber zu sprechen. Sie würden sich einem Mann nicht direkt nähern. Ich weiß nicht, warum ich es selbst gemacht habe. Vielleicht war ich nur verzweifelt.

Lotringer: Man kann mit 13 verzweifelt nach Sex sein?
Moffett: Oh ja.

Lotringer: Nur wenige Leute würden das glauben.
Moffett: Es scheint, dass Erwachsene oder Eltern diese Entdeckung des Sex immer von ihren Kindern fernhalten. Ich weiß nicht, woher das kommt.

Lotringer: Hattest du das Gefühl, daran gehindert worden zu sein, Sex zu entdecken?
Moffett: Nein. Wir haben in meinem Haus nie über Sex gesprochen. Also war ich wirklich unvoreingenommen (ist das das Wort?) hinsichtlich der ganzen Idee von Sex. Ich dachte nicht, dass es schlecht wäre, darüber zu sprechen, weil nie darüber gesprochen wurde.

Lotringer: Es gibt nicht nur zu Hause. Es gibt auch Schule.
Moffett: Wir hatten Sexualerziehung.

Lotringer: Wie alt warst du, als du Sexualerziehung hattest?
Moffett: Erst als ich 12 war.

Lotringer: War es gut das zu haben?
Moffett: So spät! Aber es war trotzdem eine gute Sache. Es waren grundlegende Dinge, wie die Teile, die Organe des Körpers, wie sie funktionieren. Sie hätten näher darauf eingehen sollen.

Lotringer: Hast du etwas gelernt?
Moffett: Ich habe etwas über heterosexuellen Sex gelernt, natürlich nicht über homosexuellen Sex.

Lotringer: Hat man im Unterricht darüber gesprochen?
Moffett: Nicht dass ich mich erinnern könnte. Jedenfalls nicht der Lehrer. Die Schüler haben möglicherweise einige Bemerkungen gemacht.

Lotringer: Was hättest du lernen sollen?
Moffett: Die Grundlagen. Nicht die Grundlagen über Organe und deren Funktionsweise, sondern die Grundlagen des Akzeptierens von Sex als etwas Gutes. Der Unterricht sollte beginnen, wenn Kinder experimentieren wollen, wenn sie anfangen, sich selbst zu berühren oder wieder nach der Brust der Mutter verlangen. Ich kann mich erinnern, drei Jahre alt gewesen zu sein und zu meinem Freund gesagt zu haben: Ich zeige dir, was ich habe, wenn du mir zeigst, was du hast. Mir wurde gesagt, dass es schmutzig sei, dass man das nicht macht. Es war nichts falsch daran. Solche Dinge sollten zwischen Kindern erlaubt sein. Sie sollten erklärt bekommen, wie Kinder geboren werden, und auch alternative Wege, dies zu tun, sobald sie in die Schule kommen.

Lotringer: Wo hast du noch etwas über Sex gelernt?
Moffett: Als ich von meiner Mutter zu meinem Vater zog, war er viel offener. Er ließ mich seine Pornografiemagazine anschauen. Ich bekam das Gefühl, dass es keine schlechte Sache war, über Sex zu sprechen und zu lernen, wie Menschen Dinge taten.

Lotringer: Hattest du jemals Beziehungen zu Mädchen?
Moffett: Ich hatte Freundschaften mit Mädchen, aber keine sexuellen Beziehungen.

Lotringer: Du hast dich noch nie von Mädchen angezogen gefühlt?
Moffett: Nein. Ich hatte nie das Verlangen.

Lotringer: Wie hast du auf die Bilder in heterosexuellen Pornomagazinen reagiert?
Moffett: Ich habe sie gar nicht angeschaut. Ich habe bloß die Geschichten gelesen.

Lotringer: Ist dein Vater diesem Thema gegenüber sehr offen?
Moffett: Nein. Er wollte es nicht selbst besprechen. Ich denke, er wäre darüber sehr verklemmt gewesen.

Lotringer: Ist deinem Vater bewusst, was du fühlst was du tust?
Moffett: Ja.

Lotringer: Wie lange schon?
Moffett: Ich kam im Dezember 1978 zu ihm und er wusste, dass ich schwul war. Als ich in der NAMBLA (North American Man / Boy Love Association) war, hat er es irgendwie herausgefunden. Oh ja, ich war in einer Nachrichtensendung und sprach über meine Beziehungen zu älteren Männern, also konnte er natürlich annehmen, was ich tat.

Lotringer: Hast du jemals mit ihm darüber gesprochen?
Moffett: Nicht direkt. Ich habe nie darüber gesprochen, was er über die Liebe zwischen Mann und Junge denkt.

Lotringer: Hat er dich nach der Nachrichtensendung etwas gefragt?
Moffett: Nicht dass ich mich erinnern könnte. Er fragte mich nur über die Organisation. Er weiß, wie ich zu der Sache stehe. Er las frühere Reden, die ich im Namen von Gay Youth of New York über das Schutzalter gehalten hatte.

Lotringer: Was denkst du über das Schutzalter?
Moffett: Ich wurde vor anderthalb Jahren auf dieses Problem aufmerksam gemacht und hatte mir nie wirklich eine Meinung dazu gebildet. Jetzt denke ich, dass das Schutzalter gesenkt und wahrscheinlich abgeschafft werden sollte. Aber erst wenn die Gesetze über erzwungene Beziehungen [coercion laws] verschärft wurden und Kinder vor der Pubertät angemessen unterrichtet werden. So wie es jetzt aussieht, wären viele Kinder in Gefahr, da sie nicht viel über Sex und sexuelle Beziehungen wissen. Wenn sie sehr jung sexuelle Beziehungen anfangen, werden auch sie mit 9 oder 10 Jahren wissen, ob etwas nicht stimmt. Es hängt alles von der Bildung ab. Wenn sich das ändert, können Kinder die Freiheit bekommen, Sex haben zu können mit wem auch immer sie Sex haben wollen.

Lotringer: Glaubst du, unsere Gesellschaft steckt den Kopf in den Sand, anstatt Kindern die richtigen Werkzeuge zu geben, um mit sexuellen Situationen umzugehen?
Moffett: Sie wollen sich der Sache nicht stellen. Sie glauben, dass Gesetze und Drohungen mit Gefängnis und Tod das Problem lösen werden. Anstatt zu versuchen, die Sache von der Seite der Kinder aus anzugehen und sie zu erziehen, denken sie nur daran, Menschen wegzuschließen, die Sex mit Kindern haben wollen. Ich glaube nicht, dass jetzt, in der Ära der Schutzaltergesetze, es keine Vergewaltigungen mehr geben wird.

Lotringer: Kinder darüber zu unterrichten würde voraussetzen, dass sie für ihr eigenes Leben verantwortlich sein können. Wenn man die Werkzeuge an die Hand bekommt um zu wählen, bedeutet dies, dass man das Recht hat, in sexuellen und vielen anderen Bereichen zu wählen. Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Gesellschaft dazu bereit ist.
Moffett: Kinder wären dann fähig ihre eigenen Entscheidungen treffen, falls sie mal gezwungen sind. So wie es jetzt ist, werden alle Entscheidungen für sie getroffen, so dass sie nicht gewohnt sind, es selbst zu tun. Als ich anfing, selbstständig unabhängige Entscheidungen zu treffen, war es sehr schwierig, weil ich nicht wusste, wie ich es anstellen sollte. Aber wenn Kinder viel jünger anfangen zu entscheiden, ob sie mit einem Freund ausgehen, Doktorspiele machen oder sich ausziehen möchten, werden sie entspannter Entscheidungen treffen und besser dabei sein. Niemand scheint zu glauben, dass eine Person vor dem Alter von 18 Jahren in der Lage wäre, eine intelligente Entscheidung zu treffen. Niemand unter 18 Jahren wird in seiner Meinung zu irgendetwas wertgeschätzt. In meiner Schule werden wir wie dumme Dinger behandelt, die nichts für sich selbst tun können. Und doch kommen wir jedes Jahr in eine höhere Klasse und uns wird gesagt: Oh, du bist jetzt schlauer, du musst dieses Jahr mehr alleine machen – und genau das Gegenteil ist der Fall. Sie nehmen uns mehr Freiheit, weil sie ihren Machtrausch haben wollen, und der einzige Ort, an dem sie dies tun können, ist eine Schule, in der sie nicht bedroht werden oder sich zumindest nicht von uns bedroht fühlen. Wir können nichts tun. Es ist eine Privatschule und wir haben uns entschieden, dorthin zu gehen. Ich erinnere mich, dass ich einmal gedacht habe: Oh, wenn ich erwachsen bin, dann habe ich ein Sexleben. Es sollte nicht so sein, wie es ist. Ich wollte damals ein Sexleben. Ich hätte nicht so lange warten müssen. Ich musste herumschleichen und es heimlich tun, was nicht in Ordnung war.

Lotringer: Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass du schwul bist?
Moffett: Eine Woche nach meinem 13. Geburtstag.

Lotringer: War das die Folge anderer Ereignisse?
Moffett: Es ist einfach passiert. Ich habe sogar vergessen, wo ich war. Ich dachte nur, ich bin schwul, das ist alles.

Lotringer: Weißt du, dass 13 eine symbolische Zahl ist? Es ist eine Zeit der Initiation in vielen westlichen Religionen, ein Übergangsritus. Das Kind erhält einen Platz und Verantwortung in der Gemeinschaft.
Moffett: Daran habe ich nie gedacht.

Lotringer: Es ist also ein Zufall, dass Ihre Erkenntnis Ihrem 13. Geburtstag entsprach.
Moffett: Vielleicht. Außerdem war ich gerade nach New York gezogen und es gab zum ersten mal Schwule im alltäglichen Leben. Ich meine, in Tennesse und Virginia sind die Leute nicht offen schwul. In einer Stadt zu sein, in der Leute offensichtlich schwul waren, war es für mich viel einfacher zu erkennen, dass ich schwul bin. Ich hatte es erkannt, aber – das ist das seltsame daran – habe es mir nie selbst gesagt.

Lotringer: Wann bist du nach New York gezogen?
Moffett: Am 1. Januar 1978.

Lotringer: Wie alt warst du?
Moffett: Ich war 12.

Lotringer: Wann hast du dich zum ersten Mal von Männern angezogen gefühlt?
Moffett: Als ich 10 war. Ich habe mir auch keine schlechten Gedanken darüber gemacht. Ich habe es einfach akzeptiert, weil ich wirklich keine schlechten Ansichten über Sex hatte. Ich hatte nicht geglaubt, dass Sex schmutzig ist. Außerdem hatten wir nie über Homosexualität gesprochen. Mir war nur einmal gesagt worden, dass es krank sei.

Lotringer: Wie ist das passiert?
Moffett: Ich erinnere mich, dass ich einmal das Wort queer verwendet habe. Meine Mutter sagte mir, was es war. Sie sagte, es seien Männer, die sich liebten, und es sei krank. Es war der einzige Kommentar, den ich jemals über Homosexualität gehört habe.

Lotringer: Was genau hat dich an Männern angezogen – hatten sie mehr Erfahrung oder eine soziale Stellung?
Moffett: Es war die körperliche Anziehung. Bevor ich ein Teenager war, war ich von Männern angezogen, die eine haarige Brust hatten, aus diesem und keinem anderen Grund. Dann wurde ich von mehr Teilen ihres Körpers angezogen. Dann bloß von Männern allgemein. So begann es: körperliche Anziehung. Ich wollte sie nicht, weil sie mehr Erfahrung hatten, obwohl das sehr hilfreich war, als es darauf ankam.

Lotringer: Glaubst du, dass eine Form der Gleichheit [equality] zwischen einem Mann und einem Jungen hergestellt werden kann?
Moffett: Es ist möglich, obwohl ich nicht weiß, wie oft das passiert. Es gibt keine echte Gleichheit, außer dass der Junge etwas will, das der Mann hat und umgekehrt. Es ist die grundlegende Anziehung, die gleich ist. Und eine Art Sorge um den anderen. Das ist die einzige Art von Gleichheit, die ich zwischen den beiden finden kann. Und die Tatsache, dass sie beide Menschen sind.

Lotringer: Die Männer, mit denen du ausgegangen bist, hatten sie schon Erfahrungen mit Jungen?
Moffett: Mit jungen Leuten, ja, aber nicht so jung wie ich, denke ich.

Lotringer: Fandest du diese Männer hilfreich und liebevoll?
Moffett: Der Mann, der ein Restaurant besaß, war sehr nett und liebevoll. Aber er hat auch viel gefragt. Er war sehr eifersüchtig. Er wollte nicht, dass ich mit jemand anderem Sex hatte, was mir schwer fiel.

Lotringer: Du warst damals vierzehn?
Moffett: Fast. Die anderen Leute (ein Innenarchitekt, ein Biologe, ein Zimmermann, ein Student der Wirtschaftswissenschaften), als sie mich das erste Mal trafen, dachten sie, ich sei älter, so dass sie mich beim Sex so behandelten, als ob ich achtzehn wäre.

Lotringer: Hattest du irgendeine Beziehung, in der Sex nicht das Hauptmotiv war?
Moffett: Als ich mein Coming-Out hatte, brauchte ich Freunde. Und das habe ich in Gay Youth gefunden. Was ich also gelegentlich noch wirklich suche, ist reiner Sex. Aber wenn ich meine Freunde verlieren würde, würde ich in die Position zurückfallen, dass ein Mann mich lieben soll.

Lotringer: Sex ist nicht die Grundlage deiner Beziehung zu deinen Freunden in Gay Youth?
Moffett: Nein. Die meisten Menschen in der Gay Youth haben keine Beziehung zueinander. Ihre Beziehungen sind außerhalb. Und im Allgemeinen ist es mit jemand älterem.

Lotringer: Was hast du in Gay Youth gelernt?
Moffett: Ich habe viel über den schwulen Lebensstil gelernt, denn das ist es, was du wählst, wenn du schwul bist. Ich wusste nichts darüber. Ich habe auch mehr über Frauen – Lesben – gelernt, da es bei Gay Youth sehr offen zugeht.

Lotringer: Verstehst du dich gut mit Lesben?
Moffett: Es gibt nur eine Lesbe bei Gay Youth, die regelmäßig da ist, und sie springt nicht einfach so zu Schlussfolgerungen. Der Rest der schwulen Jugend erwartet von ihr, dass ihr die Sexualität der Jugend wichtig ist und das sie das Recht der Jugend auf sexuelle Freiheit anerkennt, und die meisten lesbischen Feministinnen erwarten von ihr, dass sie erkennt, dass die Senkung des Einwilligungsalters bedeutet, dass all diese kleinen Mädchen vergewaltigt werden. Also geht sie es methodisch an, denkt nach, hört alle Seiten und setzt sie in ihrem Kopf zusammen.

Lotringer: Solange ein Kind in unserer Gesellschaft nicht finanziell unabhängig ist, muss es normalerweise Einschränkungen seiner Freiheit akzeptieren. Wenn du deinen Vater zu weit treiben würdest, würde er dir wahrscheinlich sagen: Schau, du wohnst bei mir, also tu, was ich von dir verlange. Hier geht es um Autorität durch Geld. Auch die sexuelle Freiheit hat damit zu tun, dass Kinder in Abhängigkeit sind. Glaubst du, das gilt immer noch? Denkst du, du hast mehr Freiheiten als frühere Generationen?
Moffett: Ich denke schon. Letzten Herbst bin ich von zu Hause weggelaufen, weil meine Eltern versucht haben, mich davon abzuhalten, meinen schwulen Freund zu sehen. Außerdem wollten sie nicht, dass ich zu Gay Youth gehe. Ich bin 6 Wochen weggelaufen. Ich hatte das Glück, einen Job zu bekommen. Ich war als Zimmerservice tätig und fand einen Ort zum Wohnen. Bevor ich weglief, sagte mir mein Vater, du kannst nicht mit Freiheit umgehen. Nach 6 Wochen sagte ich meinen Eltern: Nun, es ist offensichtlich, dass ich mit Freiheit umgehen kann. Wenn ich also nach Hause komme, werde ich völlige Freiheit haben, so wie ich es jetzt habe. Und sie stimmten dem zu. Ich habe eigentlich keine totale Freiheit. Ich habe versprochen, die Schule zu meiner ersten Priorität zu machen. Ich stimmte auch zu, sie wissen zu lassen, wohin ich gehe, oder ihnen zumindest eine Nummer zu geben, was nicht zu viel verlangt ist.

Lotringer: Warum hat dein Vater seine Meinung geändert?
Moffett: Er wollte nicht, dass ich mit Erwachsenen zusammen bin.

Lotringer: Warum?
Moffett: Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht dachte er ernsthaft, ich würde verletzt werden, oder er fühlte sich bedroht, wenn ich mit älteren Menschen zusammen war und Dinge von ihnen lernte.

Lotringer: Leute so alt wie er ist?
Moffett: Nicht wirklich so alt, aber Erwachsene.

Lotringer: Glaubst du, es könnte ein Gefühl der Konkurrenz gegeben haben?
Moffett: Ja. Gegen ihn.

Lotringer: Sehen Sie Ihren Vater aufgrund den engen Beziehungen zu anderen Erwachsenen anders?
Moffett: Das glaube ich nicht. Ich habe ihn immer als meinen Vater gesehen. Da er mein Vater ist, muss ich ihm etwas Respekt zollen.

Lotringer: Gleiches gilt für Ihre Lehrer?
Moffett: Ja. Aus irgendeinem Grund dachte ich das.

Lotringer: Denkst du immer noch so?
Moffett: Nein. Jetzt kümmere ich mich immer noch um ihn und liebe ihn, weil er mein Vater ist, aber ich spreche immer mehr auf gleicher Ebene. Bevor ich weglief, hätte ich nie mit ihm gesprochen. Wenn mich etwas verärgerte, was er tat, redete ich nie darüber. Ich hatte Angst, mir würde gesagt, ich solle den Mund halten. Wir hatten also nie eine echte Beziehung.

Lotringer: Glaubst du, er erkennt jetzt an, dass du eine valide Meinung darüber hast, wie du dein Leben führen willst?
Moffett: Ich weiß es nicht wirklich. Manchmal habe ich das Gefühl, er denkt, ich sei nur ein dummes Kind. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es ihm egal ist.

Lotringer: Als du von zu Hause weggelaufen bist, hattest du das Glück, einen Job zu finden. Viele Jungen in dieser Situation gehen auf den Strich.
Moffett: Ich war auf dem Strich, und ich kenne Leute, die das auch gemacht haben. Aber ich habe es nie als eine Beziehung zu Männern gesehen, nur als einen Weg, um Geld zu bekommen – als Job.

Lotringer: Du hast nie daran gedacht, als ständiger Profi zu arbeiten?
Moffett: Nein.

Lotringer: Wenn du müsstest, würdest du es wieder tun?
Moffett: Mehr als wahrscheinlich.

Lotringer: Hat sich deine Meinung zu Erwachsenen im Allgemeinen geändert?
Moffett: Ich denke, sie zollen uns nicht genug Respekt. Mein Vater sagte mir, ich währe trotzig [attitude of defiance]. Ich war, wie sie sagten, „rebellisch“ gegenüber vielen Dingen, die sie nicht wollten. Aber ich habe auch von ihnen gelernt. Ich respektiere ihre Meinung zu Dingen. Wenn mir ein Mann sagt (es ist diese Woche passiert), dass die Schule meine oberste Priorität sein sollte, gibt es mir eine neue Entschlossenheit, es gut zu machen. Es ist viel einfacher, auf ihn zu hören, höre danach aber auch bereitwilliger meinen Eltern zu. Es hat mir geholfen, auf eine bestimmte Weise zu reifen. Wäre ich nicht in sexuelle Beziehungen mit Erwachsenen verwickelt gewesen, wäre ich wie alle meine Freunde ein typischer Teenager geworden.

Lotringer: Hast du jetzt, wo du sie besser kennst, immer noch Lust, erwachsen zu werden?
Moffett: Natürlich, weil ich dann unabhängig bin.

Lotringer: Wenn du unabhängig werden könntest, ohne weiter aufzuwachsen, wie Oskar in der Blechtrommel, würdest du lieber ein Junge bleiben?
Moffett: Ich möchte ein Erwachsener sein, etwas erschaffen, aufbauen. Natürlich hoffe ich, eine Familie zu haben.

Lotringer: Eine Familie?
Moffett: Nicht Frau-Kinder-Hunde und ein Haus. Einen Liebhaber. Im Moment weiß ich nicht, was ich von Kindern halte. Ich weiß nicht, ob ich wollte oder nicht. Ich glaube nicht, dass es momentan legal ist, Kinder zu adoptieren. Ich möchte nur eine lebenslange Beziehung haben.

Lotringer: Wenn du einen Mann heiraten könntest, würdest du es tun?
Moffett: Nun, ich weiß nicht, was ich über dieses ganze Ehegeschäft denke. Ich würde lieber mit jemandem bloß zusammenleben, damit ich immer noch das Gefühl der Freiheit habe.

Lotringer: Du hast vorhin gesagt, dass Sexualerziehung einem beibringen sollte, dass Sex gut ist. Erkennst du eine Grenze beim Sex an? Inzest beinhaltet zum Beispiel die gleiche generationenübergreifende Beziehung, in der du dich befindest, nur innerhalb der Familie. Würdest du dich in einer inzestuösen Situation sexuell genauso wohl fühlen wie mit einem Erwachsenen? Gibt es etwas, das du als „natürlich“ betrachtest und etwas, dass es nicht wäre?
Moffett: (Schweigen) Das ist sehr schwer zu sagen.

Lotringer: Es wäre für jeden schwer. Würdest du das Gefühl haben, dass inzestuöser Sex etwas Seltsames hat?
Moffett: Tu ich das?

Lotringer: Stell dir vor, du hast Sex mit deinen Eltern. Sie sind Erwachsene. Sie könnten Objekte des Begehrens sein. Hast du jemals darüber nachgedacht?
Moffett: Ja. Aber ich bin nicht wirklich von ihnen angezogen. Ich bin sicher, es könnte sehr normal sein, weil ich die ganze Zeit Geschichten darüber höre. Es scheint nicht abnormal zu sein – solange es keine Vergewaltigung ist und das Kind nicht verletzt.

Lotringer: Du meinst, es müsste einvernehmlich sein.
Moffett: Ja. Ich las eine Geschichte über einen Vater und einen Sohn. Der Sohn hat dem Vater gerade gesagt, dass er schwul ist und sich für ältere Männer interessiert. Und sie bildeten einfach eine sexuelle Beziehung.

Lotringer: Findest du das schockierend?
Moffett: Als ich es zum ersten Mal las, ja, weil es irgendwie selten ist. Aber solange es einvernehmlich war, sehe ich wirklich nicht, was daran falsch ist.

Lotringer: Sie glauben nicht, dass das Gesetz so etwas verbieten sollte.
Moffett: Nein. Ich denke, der Staat sollte sich aus den Schlafzimmern der Leute heraushalten.