Quelle: Psychoanalyse und männliche Homosexualität - Beiträge zu einer sexualpolitischen Debatte, Psychosozial-Verlag, Mai 2019. Ralf Binswanger: Wiederholt sich die Geschichte? – Nicht wirklich! - Drei Verständnisschwierigkeiten einer Neuformulierung des Perversionsbegriffs, S. 125f. ISBN-13: 978-3-8379-2880-8
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Es gibt Situationen, in denen Kinder prioritäre nicht-sexuelle Bedürfnisse haben, die sie womöglich bei gut strukturierten und liebevollen Pädophilen unterbringen können, vielleicht ohne mehr Schaden zu nehmen, als z.B. durch verwahrlosende Familienverhältnisse schon verursacht worden ist. Das war der Fall bei bei meinem verheirateten Fremdgänger und noch bei einem anderen meiner Patienten. Letzterer hatte bereits im Alter von sechs Jahren ein verfrühtes und sehr ausgeprägtes homosexuelles Coming-out und sagte von sich, dass – vielleicht außer beim ersten Mal – im Grunde genommen er seine pädophilen Partner genauso verführt hätte wie sie ihn, weil er bei ihnen ein tiefes ungestilltes Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit unterbringen konnte. Er fühlte sich bis zum Schluss nicht von der Sexualität mit seinen Partnern traumatisiert, sondern von den Folgen, welche ihre Aufdeckung durch die Mutter im Alter von 14 Jahren mit sich brachte: Unter anderem musste er bei einer polizeilichen Gegenüberstellung gegen den engsten Partner, an dem er immer noch hing und der gebrochen vor ihm stand, aussagen. Allerdings fühlte er sich trotzdem um etwas Wichtiges betrogen: um die sexuelle Latenzzeit.
Andererseits behandelte ich mehrere Patientinnen und Patienten, die durch Kindesmissbraucher aufs schwerste traumatisiert wurden. Ich laufe nicht Gefahr, mögliche Traumatisierungen durch Kindesmissbrauch zu bagatellisieren.
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