Ein Interview zu ideologischen Knackpunkten eines Charité-Projekts für potentielle „Täter“ am Kind führte Eike Stedefeldt
Am Internationalen Kindertag, dem 1. Juni, präsentierte die VolkswagenStiftung in der Bundespressekonferenz das von ihr finanzierte und von Prof. Dr. Klaus M. Beier geleitete Forschungsprojekt „Prävention von sexuellem Kindesmißbrauch im Dunkelfeld“ des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charité. Besitze doch ein Teil der „potentiellen Täter“, die „auf Kinder gerichtete sexuelle Phantasien bekunden“, „ein Problembewußtsein und wünsche therapeutische Hilfe“. – Kurt Hartmann vom Verein für “Belletristische und wissenschaftliche Pädoliteratur e.V.” war dort und durchkreuzte etwas das Konzept. Zu seinen Eindrücken befragte ihn Eike Stedefeldt:
Um die zum Projekt gehörende Anzeigenkampagne aufzugreifen: Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?
Ich mag Kinder und hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihnen. Sexuell attraktiv sind sie für mich aber nicht.
Was trieb Sie dann zu dieser Pressekonferenz?
Als Junge hatte ich ein für meine schwule Entwicklung sehr wichtiges sexuelles Verhältnis mit einem Mann, von dem ich später erfuhr, er sei ein Päderast. Mich ärgert deshalb seit langem das undemokratische Sexualstrafrecht, das Jungen, wie ich einer war, das Recht abspricht, eine sexuelle Beziehung mit Älteren zu haben. Deshalb wollte ich bei Professor Beier und CDU-Generalsekretär Siegfried Kauder, der für die Kriminalitätsopfer-Hilfe „Weißer Ring“ dem Projektbeirat angehört, öffentlich Widerspruch anmelden.
Wogegen genau wollten Sie widersprechen?
Ich wollte zum einen kritisieren, daß die Klienten auf sexuelle Abstinenz therapiert werden sollen, anstatt ihnen zu ermöglichen, pädophile Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil zu entfalten. Zum anderen wollte ich den Artikel 2 des Grundgesetzes – Freie Entfaltung der Persönlichkeit – verletzenden Paragraphen 176 StGB – Sexueller Mißbrauch von Kindern – angreifen.
Über beides kann man, je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet, sehr verschiedener Meinung sein. Wie reagierten die von Ihnen Angesprochenen?
Professor Beier zog es vor, mir gar nicht zu antworten und statt dessen mit seinem Kieler Kollegen Hartmut Bosinski zu tuscheln, der auch im Beirat sitzt. Offenbar hatte ich an ein Tabu gerührt, denn in Beiers Logik ist jede sexuelle Attraktivität Erwachsener für Vorpubertäre eine Störung oder Krankheit und somit kein Bestandteil freier Persönlichkeitsentfaltung.
Der Jurist Siegfried Kauder trieb 2002 die Koalition im Bundestag dazu an, sexuellen Kindesmißbrauch zum Verbrechenstatbestand heraufzustufen, was Mindeststrafen von einem Jahr bedeutet. Jetzt gilt er als heißester Kandidat für den Posten des Kanzleramtschefs in einer Regierung Merkel. Da könnte schon von Interesse sein, ob und was er Ihnen geantwortet hat.
Er erklärte, den §176 nicht abschaffen zu wollen und ich sei der einzige, der ihn für verfassungswidrig hält. Dann kündigte er an, im Vorfeld von Sexualstraftaten übers Internet frühzeitig eingreifen zu wollen, da gäbe es derzeit eine Petition im Bundestag. Ich vermute, es geht um die Verfolgung sexueller Anmache von Kindern in Chatportalen mittels Agents provocateurs. Ein toller Jurist, der Straftaten provozieren will, die sonst gar nicht stattfinden würden!
Man hat als etwas abseits stehender Betrachter oft den Eindruck, daß von Kindern gewollte und als angenehm empfundene Beziehungen, bei aller Ambivalenz, die aktuelle Ideologie durchbrechen und darum weggedrückt, wegzensiert oder sogar weggelogen werden. Sehr wissenschaftlich mutet das nicht an.
Etwa seit Mitte der 1980er Jahre ist, von den USA ausgehend, auch bei uns immer stärker ein reiner Mißbrauchsdiskurs zu beobachten. Selbst die in Deutschland etablierten sexualwissenschaftlichen Institute sind zum Teil auf diesen Zug aufgesprungen, zum anderen Teil schweigen sie. Eine sträfliche Vernachlässigung, die der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht wird. Ergebnisoffene Forschung in diesem Bereich gibt es kaum noch. Sie wird sogar regelrecht repressiv bekämpft.
Auch Beiers im Ansatz vergleichsweise liberal wirkendes Projekt verharrt im Opfer-Täter-Schema. Wurde das auf der Pressekonferenz problematisiert oder bestand unter den sonst doch so kritischen Journalisten diesbezüglich Konsens?
Leider haben sich die Nachfragen der Journalisten als wenig kritisch erwiesen. Das war zu erwarten. Vermutlich fehlt den allermeisten jedes Hintergrundwissen. Darum werden auch das Mißbrauchs-Paradigma und das Opfer-Täter-Schema überhaupt nicht mehr in Frage gestellt. So redet Professor Beier beispielsweise regelmäßig von sexuellen Übergriffen, die er verhindern will, ohne zu berücksichtigen, daß Sex auch Spaß machen kann – sogar einem Kind.
In Zeiten des Doku- und Infotainment tendiert der Journalismus längst zur inzestuösen Massenorgie, deren Teilnehmer die eigenen Informationen, und seien sie noch so dubios und vorurteilsbehaftet, stets als glaubwürdige Basis weiterer Beiträge nutzen. Aber vielleicht wurde ja doch einer der Pressekonferenz-Gäste durch Ihre Fragen aus dem Schlummer gerissen …
Ja, doch! Bei einigen hat es wohl geklingelt. Neben mir saß ein junger Mann von dpa, der mich spontan um ein Interview bat, nachdem ich mich als Ex-Boyfriend geoutet hatte. Zum Ende der Pressekonferenz scharten sich um mich mindestens so viele Kollegen wie um die Herren Professoren. Ein Fernsehteam von VOX und sogar das von Frau Uli Hesse vom Bayerischen Rundfunk haben mich ausführlich befragt.
Und, gab es Reaktionen auf die Ausstrahlung?
Bisher weiß ich von keiner Ausstrahlung. Seit sie alle vor drei Wochen meine Anschrift und Telefonnummer für weitere Nachfragen notiert hatten, habe ich nichts mehr von ihnen gehört.
Sie meinen, die Videobänder könnten im Giftschrank gelandet sein?
Dafür sind Giftschränke doch da, oder?
Korrektur der Redaktion zum Interview:
Die Verwechslung zweier CDU-Bundestagsabgeordneter fiel der Redaktion erst nach Erscheinen des Beitrags auf. Zu seiner Entlastung und der des von ihm befragten Kurt Hartmann, dessen Irrtum ihm entging, bringt der Interviewer Eike Stedefeldt hiermit vor: Beide MdB stammen aus Baden-Württemberg – der eine aus Bad Dürrheim, der andere aus dem 15 Kilometer entfernten Tuttlingen. Auch nach religiösem Bekenntnis (evangelisch), Alter (Jahrgänge 1950 und 1949) und Optik (von Haartracht über Brillengestell bis Halsschmuck) liegen sie nahe beieinander. Juristen und rechte Hardliner sind ebenfalls beide. Und trotzdem sind Siegfried und Volker Kauder nicht identisch. Weder ist der Erstgenannte der bekannte CDU-Generalsekretär, für den ihn Kurt Hartmann hielt, noch ist der Letztgenannte Mitglied im Weißen Ring. Aber: Die Herren Kauder sind Brüder und gewannen am 18. September 2005 erneut ihre Wahlkreise. – Was weitaus folgenschwerer sein dürfte als ihre Verwechslung.